Pittoresk und unbrauchbar

Mit einem Innenstadt-Dialog bietet die Konrad Adenauer Stiftung (KAS) dem Thema „Innenstadtentwicklung“ ein Forum. Nicht, dass das Thema nicht schon breitflächig und vertiefend in all seinen Facetten beschrieben und erforscht wäre, aber es nimmt jetzt auch politischen Raum ein und rückt in den Fokus der Diskussionen.

Bis zum 18. April kann jede/r Vorschläge einreichen und dem Aufruf der KAS folgen, sich mit Ideen und Vorschlägen beteiligen:

„Kaum ein Raum prägt unser Bild von Stadt so sehr wie das Stadtzentrum. Innenstädte sind Mittelpunkt, Visitenkarte, Sehnsuchtsort und Standortfaktor. Doch unsere Innenstädte befinden sich seit vielen Jahren in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Die Corona-Pandemie und die Auswirkungen der Lockdowns in 2020 und 2021 wirken hierbei als zusätzliche Beschleuniger. Wie kann eine zukunftsfähige Entwicklung unserer Stadtzentren aussehen? Welche Projekte, welche Lösungen helfen uns wirklich?“ 

Ich denke, dass die Formulierung, die Innenstädte befänden sich seit Jahren in einem tiefgreifenden Strukturwandel nicht ausreicht, um das Problem zu beschreiben und  glaube auch nicht, dass uns Projekte zu zukunftsfähigen Lösungen führen werden. 

Schaut man auf die Fülle der erhoben Daten zum Thema und wirft einen Blick auf die bereits existierenden Projekte, dann erstaunt es doch, dass sich eigentlich keine Lösung daraus ableiten lässt. 

Auffällig oft wüschen sich die Bürgerinnen und Bürger eine „lebendige Innenstadt“, hohe Aufenthaltsqualität in ganz unterschiedlicher Form und weniger Verkehr. Es werden seniorengerechte Wohnungen vorgeschlagen und allerlei Formen des Handels diskutiert, der ÖPNV ins Gespräch gebracht und wirklich jedes Thema, das die Stadtplanung in den letzten 20 Jahren aufgegriffen hat, salbengleich auf die Innenstadtentwicklung aufgetragen und verrieben.

Um sich dem Thema zu nähern lohnt eine historische Betrachtung, denn die Strukturen der Innenstädte, vor allem in Klein-und Mittelstädten sind unter ganz anderen Voraussetzungen entstanden, als man es heute brauchen und erwarten würde. Im Grunde genommen gibt es „Innenstädte“ erst, seitdem man auch außerhalb der Stadtmauern ein sicheres Leben führen kann. 

In der Stadt, in der ich lebe hat erst Napoleon die Wallanlagen geschleift. Bis dahin zwängte sich alles Leben schlicht in der Stadt. Innen. Außen war nur, wer Innen nicht sein durfte. Städte, die in dieser Zeit prosperierten, waren Marktstädte. Und es gab erste Tresengeschäfte in den Häusern entlang der Straßen. Niemand hatte in dem einen Haus sein Zuhause und in einem anderen sein Geschäft. Man lebte und arbeite an einem Ort. 

Die Überreste dieser ursprünglichen Struktur sind heute pittoresk , aber unbrauchbar.

Unsere Innenstadt ist auch deshalb keine lebendige Innenstadt mehr, weil dort kaum jemand wirklich lebt. Um eine lebendige Innenstadt zu sein, muss es eine Innenstadt für jedes Lebensalter sein. Nicht nur Senioren sollten dort in den ihnen gerechten Wohnungen leben, sondern alle. Familien mit großen und kleinen Kindern, junge Menschen, Studis, Yuppies, DINKs und Ökos, Menschen mit  alternativen und auch konservativen Lebensvorstellungen. Eben alle. Denn wie so oft macht es die Mischung. Und im Falle der leblos gewordenen Innenstädte sind es nicht die Dinge, die gerettet werden sollen, sondern die Dinge, die fehlen, damit Menschen in der Innenstadt wirklich leben können. Also die Lebensinfrastruktur. 

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Innenstädte zu Orten entwickelt, die vor allem die Bedürfnisse des Handels erfüllen. Und heute sind es darum vor allem die Handeltreibenden, deren Wünsche in die Entwicklungsvorschläge einfließen. Gebührenfreie Parkplätze, Rückbau von Fußgängerzonen und ähnliche Wünsche werden aus nachvollziehbaren Gründen von ihnen gefordert. Niemand fordert Spielplätze und Kindertagesstätten, gar Schulen oder Freizeiteinrichtungen- kurz alle Infrastruktur, die das echte Leben mit sich bringt, denn die Handeltreibenden sind fast alleine in den Innenstädten.

Wer also sollte das auch fordern? Maximal denkt man über Bänke und ein paar Bäume und Fahrradboxen für Durchreisende nach.

Der Tourismus ist wichtig, wenn man über die Entwicklung von Innenstädten diskutiert! Alle sind wichtig, nur nicht die, die in Innenstädte wirklich nachhaltig für Lebendigkeit sorgen könnten!

Wir leben nicht in den Innenstädten, wir benutzen sie nur. Und dabei möchten wir auch mal sitzen und es soll schön aussehen. Die einen gerne beim Kaffee, die anderen, weniger gut situierten gerne an Plätzen, die vom „Konsumzwang“ befreit wurden. Gerne haben wir etwas Kleinkunst und Kneipenkultur dabei. Und wenn nach Ladenschluss die Gehwege hochgeklappt werden, dann gehen alle nach Hause, in die Außenstädte. Und der Wind treibt, einer verlassenen Westernstadt gleich, trockenes Gesträuch durch die leeren Straßen.

Exitus.

Wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir viel radikaler denken und neue Wege gehen, dann brauchen Innenstädte neben Handel auch Lebensraum und eine Gemeinschaft, eine Community, die dort zuhause ist, lebt und so für Lebendigkeit sorgt. Nicht Bibliotheken und Geschäfte, neue Pflasterungen und Fassadensanierungen, Bänke und passende Straßenlaternen werden die Innenstädte lebendig machen, sondern nur Menschen, die ihr Leben dort verbringen!

Und wo Menschen leben, da wird es auch Handel geben. 

Vielleicht nicht den x-ten Klamotte- oder Telefonladen, aber Geschäfte, in denen man die Dinge kauft, die man zum ganz normalen Leben eben braucht. Lebensmittel und Blumenläden, Heimwerkerbedarf, kleine Möbelläden, Raumausstatter, Apotheken und Buchläden vielleicht? Schlachter und Bäcker, Obst-und Gemüseladen? Es wird mit etwas Glück auch wieder nette Kneipen geben, wo sich die Nachbarschaft trifft?

All die Geschäfte, die unsere Innenstädte längst verlassen haben, weil die Menschen fehlen, die dort ihre täglichen Einkäufe erledigen. In einem Leben, das auch andere Formen der Mobilität braucht. Denn wenn Kita und Schule und Nahversorger in die Innenstädte zurückkehren, wenn sie dort sind, wo Menschen dann auch wieder leben können, dann braucht man vielleicht auch nicht unbedingt ein eigenes Auto? 

Der Dreh-und Angelpunkt einer zukunftsfähigen Innenstadtentwicklung ist meiner Ansicht nach der Versuch, menschliches Leben wieder dort anzusiedeln. Sozusagen eine Rehumaninisierung. Dann würde sich manches andere Problem von alleine lösen.

Was brauchen wir also, um unsere Innenstädte zu retten?

Mut, Pioniergeist und Menschen mit der Vision von der bewohnbaren Innenstadt. Nicht halbseidene integrierte Handlungskonzepte und Pseudokonzepte und Projekte. Wir brauchen Eroberer. Menschen, die wieder in Innenstädten leben wollen. Mit allem, was dazugehört.